Die «Tuifl» haben begeisterten Zulauf, aber es regt sich der Unmut der «Braven». Dabei haben wir den Krampus nötiger als je zuvor.
Ausgerechnet die BILD (bild.de) bringt am Nikolaustag ein ganz nettes Kurzvideo, das den Krampus erklärt. Mit viel Bildzeug aus Tirol (wie es sich gehört). Im Symbolpaar Nikolaus und Krampus sei daran erinnert, dass das Gute belohnt und das Schlechte bestraft wird, sagt die Sprecherin im Kurzvideo. Immerhin wird der «dunkeln Seite von Weihnachten» Sinn und Ehre gelassen.
Da geht die Dolomiten einen anderen Weg: Jungscharfromm wendet sie sich mit Abscheu vom lärmenden Höllenspektakel ab und bittet die gläubigen Schäflein, doch mehr dem gebenden Nikolo nachzulaufen als dem einsackenden Teufel, womit sie nebenbei auf einen Bozner Immobilienunternehmer anspielt («Vorausgeschickt» von Martin Lercher am 6.12.24, Titelseite). Fehlt nur noch die Frau Oberhammer, die den Krampus zum Archetyp der männlichen Gewalt und zm Urbild der animalischen Sexualität erklärt und alles lärmende Treiben, Rutenschlagen und Schellen verbieten will.
Dabei haben wir den Krampus nötiger als je zuvor. Den richtigen, lebendigen, bockeleten, mit Hörnern und einer gruseligen Maske auf. Warum? Weil er nicht virtuell ist, nicht digital, und weil er nicht als andächtiger Sermon (Moralpredigt) daherkommt. Weil die Kinder und die Jungen, die er jagt, echten Schreck verspüren, eine ganz und gar natürliche Aufregung: Zischende Ruten sausen auf das wohl bedeckte Winterkleid, tut auch weh, und anders als auf dem Handy stinkt und riecht es. Was für eine Wohltat in einer nahezu ganz entfleischten, entsinnlichten Welt, wo Spannung nur mehr als Videospiel oder Film erlebbar ist und dort weitaus überzogener ist als die Erinnerung an Strafe und Gewalt, die der Krampus in brauchtumsmäßiger Ritualisierung und in homöopathischer Dosis anspricht.
Das Gegensatzpaar Nikolaus-Krampus ist ein genialer Wurf, um die ewige Dichotomie zwischen Gut und Böse, Tag und Nacht, Glück und Verdammnis darzustellen. Ein Glück, dass Tirol diesen Brauch hat (durch die allegorische Form scheint wieder einmal die Barockzeit sein Schöpfer zu sein).
Ob dann einmal die Krampusse zu grellen Pop-Schauläufen werden oder ein andermal der Nikolaus zum Santa Claus oder Weihnachtsmann verlängert wird, ist alles halb so wichtig. Am Nikolaustag (nach dem Tuifl-Tag am 5.) durften in Lana zur Dämmerung die kleinen Tuifelen am Gries ihr «Unwesen» treiben. Mit welcher Freude sind doch die Kinder davongestoben, als sich ihnen so ein pelziges, schwarzes Kerlchen mit Schelle und Rute näherte. Da hat man eine Ahnung bekommen, wie wichtig Krampusse sind. Erst recht für die Buben, die vermummt im Fell stecken: Ihr Stolz und Selbstwertgefühl, den Krampus «spielen» zu dürfen, muss an diesem Abend mindestens um zehn Zentimeter gewachsen sein.
P.S. Was der Tuifltog mit der Angst zu tun hat, habe ich in einer autobiografischen Erinnerung HIER festgehalten.